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Der Juni 1923 – ein beispielloser „Antisommer-Monat“

Der Frühsommer hat gerade einen Durchhänger. Aktuell ist es unterdurchschnittlich temperiert, also „zu kalt“ für die Jahreszeit bezogen auf den langjährigen Mittelwert. Schwankungen und kühle Witterungsperioden gehören aber zum Wetter natürlich genauso dazu. Das aktuelle Wetter ist also keineswegs ungewöhnlich, statistisch betrachtet war ein Ausschlag nach unten mal wieder überfällig. Ursache ist ein großräumiges recht stabiles Tief über Nordwesteuropa, wodurch kühle Meeresluft polaren Ursprungs zu uns strömt. Anlässlich dessen schauen wir heute auf den Juni 1923. Wer es mit Bauernregeln und Wettersingularitäten hält, könnte hierfür die Überschrift „Einen Monat Schafskälte“ wählen.

Im MV- Flächenmittel hatte der Juni 1923 nur 11,3°C und fiel damit unglaubliche 4,1 K zu kalt gegenüber dem alten 30-Jahresmittel von 1961-90 aus – für einen Sommermonat ist das bis heute eine einzigartige Kalt-Anomalie! Selbst für einen Mai wäre das unterdurchschnittlich. Damit ist es eindeutig der kälteste Juni seit Wetteraufzeichnungen vorliegen – das Flächenmittel MV ist seit 1881 verfügbar, aber Recherchen ergaben, dass selbst im 18. Jahrhundert wohl kein kühlerer Juni aufgetreten ist. Extrem ist auch der Abstand zum zweitkältesten Junimonat 1991. Extreme 1,9 K liegen dazwischen- das sind Welten in der Klimastatistik auf Monatsbasis.

Das Zeitreihen-Diagramm der Junimitteltemperatur in MV von 1881 bis 2023 visualisiert den extremen Kaltausreißer 1923:

Quelle: mtwetter.de / https://www.mtwetter.de/regionales_mittel.php

Monats-Mitteltemperaturen der damaligen meteorologischen Messstationen JUNI_1923
(Abweichung zum Mittel 1961-1990, sofern vorhanden / K= Kelvin, entspricht Grad Celsius):

10.1°C Kloster auf Hiddensee
10.4°C (-4,5 K) Putbus/Rügen
10.7°C Wustrow, Ostseebad
10.7°C Neustrelitz
10.8°C Rostock
11.2°C (-4,2 K) Kirchdorf/Poel
11.2°C (-4,7 K) Dömitz/Elbe
11.3°C (-4,3 K) Marnitz
11.3°C (-4,6 K) Waren/Müritz
11.4°C (-3,8 K) Greifswald
11.4°C (-4,3 K) Güstrow
11.5°C (-3,5 K) Warnemünde
11.8°C (-3,8 K) Schwerin

Und zum Vergleich: Der diesjährige Mai 2024 war mit 15,7°C im Flächenmittel über 4°C wärmer als der „Bibber-Juni“ vor 101 Jahren. 1923 ist auch das einzige Jahr mit einem Mai, der wärmer war als der Juni deutschlandweit betrachtet.

Der erste meteorologische Sommermonat des Jahres 1923 vollbrachte also eine kaum zu glaubende „Leistung“. Dabei waren es vorrangig nicht extrem kalte Nächte, sondern vor allem sehr niedrige Tagestemperaturen und eine extrem geringe Sonnenscheindauer, die regional für Juni bis heute den Minusrekord hält, welche für die abnormale Kühle und das rekordtiefe Monatsmittel sorgten.

In Rostock, Wustrow/Fischland und in Putbus auf Rügen registrierten die Wetterwarten nicht einen einzigen Tag mit mindestens 20°C. Kein warmer Tag im gesamten Monat Juni somit – das ist schon ein absolutes Ausnahmeereignis. In der Hansestadt Rostock lag das Maximum bei 18,5°C (!!!) und kurioserweise war das auch noch am 01. Juni. Danach war es durchgehend noch kühler.

Monats-Maximaltemperaturen der damaligen meteorologischen Messstationen JUNI_1923
In Grad Celsius:

18.5°C Rostock
19.0°C Putbus/Rügen
20.6°C Waren/Müritz
20.8°C Kirchdorf/Poel
21.5°C Marnitz
22.1°C Dömitz/Elbe
22.4°C Schwerin

Siehe hier das Monatsdiagramm von Putbus auf Rügen. Es zeigt sich: Häufig lag die Tageshöchsttemperatur (rote Linie) sogar unter 15°C, teils nur knapp über 10°C wie zum Beispiel am 15. Juni 1923.

Quelle: sklima.de http://www.sklima.de/datenbank_diagramme.php / Auf der x-Achse (waagerecht) sind die Tage abgetragen. Bsp: 4 = 4. Juni 1923. Nicht irritieren lassen: Grau hinterlegt sind keine Temperaturdaten, sondern die mittlere Luftfeuchtigkeit der Tage.

Es war zudem die meiste Zeit nasskalt mit vielen Schauern – man fürchtete der Sommer würde gar nicht mehr kommen.

Damals folgte dann aber in der 1. Julihälfte der große Wandel mit einer richtigen Hitzewelle mit bis zu 10 Tagen Tmax > 30°C in Folge, z.B. in der Landeshauptstadt Schwerin (06.-15.07.1923). So schnell kann die Wetterlage in ein völlig anderes Zirkulationsmuster kippen.

Welche Konstellation war für diesen Ausnahmemonat verantwortlich? Die Reanalysekarten (3 ausgewählte Tage) zeigen eine persistente (beständige) Wetterlage fast über den ganzen Monat hinweg. Ein mächtiges Hochdruckgebiet ankerte durchweg auf dem Atlantik zwischen Britische Inseln und Azoren, mal nördlicher, mal etwas südlicher. Über Skandinavien nisteten sich Tiefdruckgebiete ein. Zwischen diesen Druckgebieten stellte sich eine anhaltende Nordwestströmung vom Nordmeer her ein. Diese maritime Polarluft flutete weite Teile Mitteleuropas. Hinzu kamen damals auch noch eher unterdurchschnittliche Meerestemperaturen. Aktuell lägen bei gleicher Wetterkonstellation durch die schon fast jahrelang überhöhten Wassertemperaturen insbesondere der Nordsee die Lufttemperaturen schätzungsweise 2-3°C höher.

Da der Tiefdruckeinfluss häufig dem Einfluss des Hochs überwog, war der Wettercharakter wechselhaft und immer wieder zogen schauerartige Regenfälle durch. Die Sonne kam selten wirklich zum Zug und schien schätzungsweise (kaum Messdaten zur Verfügung) zumindest im Binnenland nur 100-120 h. Zur Einordung: Langjähriger Juni-Durchschnitt sind etwa 235 h in MV. Damit war es nicht nur der kälteste, sondern auch noch der trübste Juni in der Wettergeschichte. In Brandenburg wurden in Potsdam sogar nur 89 Sonnenstunden erfasst, das ist fast Novemberniveau!

Es wird mehr als deutlich: Der Juni 1923 war harter Tobak und ein verrückter „Antisommer-Monat“, der auf derart niedrigem Temperaturniveau aktuell kaum noch möglich erscheint.

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