
Quelle: https://tornadoliste.de/190919ruegen.htm
Am vergangenen Donnerstag (19.09.) wurden zwischen 17:25 und 18:05 Uhr gleich mehrere Tornados über der Ostsee vor der Nordküste Rügens gesichtet. Augenzeugen berichteten zeitweise gar von 6 Rüsseln über dem Wasser. Von verschiedenen Orten beobachteten Einheimische und Urlauber das Naturschauspiel, u.a. gingen Meldungen aus Vitt, Lohme und Drewoldke ein.
Die Wasserhosen entstanden an einer unscheinbaren, nicht sonderlich intensiven Schauerlinie. Im Radar zeigten sich lediglich mäßige Niederschlagssignale. Dennoch waren die Bedingungen für Tornados über der Ostsee sehr günstig. Es brauchte, wie üblich, nur „einfache“, nicht besonders hochreichende Cumuluswolken zur Entstehung.

Am Donnerstagabend herrschte eine maritime Polarluftmasse in unserer Region vor. Die Temperaturgegensätze zwischen der bodennahen Schicht über den Wasserflächen und der Höhenluft waren sehr groß. Das Oberflächenwasser der Ostsee ist nach dem Sommer immerhin noch 15 bis 16°C warm. Die Luftmasse war dadurch labil geschichtet und es herrschte eine gut ausgeprägte Thermik (viel Auftrieb in der unteren Atmosphäre), begünstigt auch durch eine küstennahe Bodenwindkonvergenz (W-Wind und N/NW-Wind strömten zusammen). Förderlich war zudem die insgesamt windschwache Lage, nach dem stürmischen Dienstag und Mittwoch hatten die Luftdruckgegensätze nachgelassen.
Die Tornados vom 19.September zogen vor der Küste der Insel Rügen entlang und trafen nicht auf Land. Fotos und Videos zeigten eindeutig aufgewirbeltes Wasser und bestätigten so den Bodenkontakt in mindestens zwei Fällen. Wasserhosen sind mitunter eine spektakuläre Erscheinung, jedoch in der Regel ungefährlich. In seltenen Fällen sind allerdings schon Boote, Segler oder Ausflugschiffe durch einen solchen Wirbelwind in Seenot geraten. Ebenso können Schäden auftreten, wenn ein Tornado ans Ufer zieht.
Nahezu jedes Jahr treten vor allem im Spätsommer und Herbst mehrere Wasserhosen vor den Küsten von Mecklenburg und Vorpommern auf, insgesamt sind sie etwas häufiger als Tornados an Land, die meist im Umfeld von Gewitterzellen entstehen.
Die „Tornadoliste Deutschland“ (=> https://tornadoliste.de/ ) zählt für 2019 in MV bisher 3 bestätigte Tornados (Rügen vom 19.09. als ein Fall gezählt, die anderen beiden ebenfalls Wasserhosen) und 9 Verdachtsfälle. Sollte es bis Jahresende in etwa dabei bleiben, fällt die Bilanz tendenziell durchschnittlich aus. Bezüglich Tornados über Land in diesem Jahr gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Unklar ist bei mehreren Verdachtsfällen, ob bei aufgetretenen Trichterwolken Bodenkontakt bestand oder ob Sturmschäden tatsächlich durch einen Tornado oder doch eher eine Gewitterfallböe verursacht wurden.

Ein ungeklärter Fall vom 31.07.2019 aus Bülow bei Güstrow. Die Trichterwolke reicht weit hinab, aber erreichte sie wirklich den Boden?
Quelle: https://tornadoliste.de/190731buelow.htm
Beispielsweise 2006 wurden in Mecklenburg-Vorpommern und auf den dazugehörigen Küstengewässern sogar 30 Tornados und weitere 14 Verdachtsfälle registriert. Generell ist besonders bei den Wasserhosen von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Eine aussagekräftige Statistik kann zudem erst seit etwa 10 bis 15 Jahren erzeugt werden, je weiter man darüber hinaus in die Vergangenheit zurückblickt, umso weniger Fälle sind bekannt. Die Gründe sind einleuchtend: Heutzutage kann jeder schnell sein Handy zücken und fotografieren oder mitfilmen. Außerdem kam die Tornadodokumentation und -forschung in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg weitgehend zum Erliegen und wurde erst in den 2000er Jahren wieder aufgenommen. Anfang des 20. Jahrhunderts war Deutschland übrigens noch weltweit führend in der Tornadoforschung. Im Jahre 1917 erschien das bis heute anerkannte Buch „Wind- und Wasserhosen in Europa“ von Alfred Wegener.