
Mit viel Dynamik zog am 18.Oktober eine Kaltfront von SW nach NO über Norddeutschland hinweg. An ihr konnten sich linienartig für die Jahreszeit ungewöhnlich zahlreiche und kräftige Gewitter bilden. Außerdem traten schwere Sturmböen auf und in Nordwestmecklenburg sowie auf der Insel Rügen gibt es einen Tornadoverdacht. Mehrere Faktoren begünstigten diese warnrelevanten und gefährlichen Wetterereignisse:
Unsere Region befand sich auf der Vorderseite eines hochreichenden umfangreichen Tiefdrucksystems mit Kern über den britischen Inseln. Von diesem Tief verlaufen Frontensysteme ostwärts, so auch die angesprochene Kaltfront am vergangenen Freitag.

Im Vorfeld strömte sehr milde Meeresluft ein und die 2m-Temperaturen erreichten in Mecklenburg-Vorpommern 16 bis 19°C. Zudem war die Luft beachtlich feucht und instabil geschichtet. Es wurde markante Hebung durch das übergreifende Frontensystem generiert. Die Werte der vertikalen Windscherung lagen zudem auf hohem Niveau, was die gut organisierte, linienförmig auftretende Schauer- / und Gewitterlinie erklärt und zudem für ein leicht erhöhtes Tornadopotenzial sorgte. Vereinfacht gesagt, gab es abrupte Änderungen der Richtung und/oder der Geschwindigkeit des Windes in den verschiedenen Luftschichten mit der Höhe. In 850 hPa (1,5 km Höhe) wurden Oberwinde von 45 bis 50 Knoten analysiert, welche während des Frontdurchganges und der kurzen kräftigen Niederschläge herabgemischt wurden. Die Energiewerte der Luft (CAPE) lagen mit bis zu 200 J/kg nicht überbordend hoch, doch dies ist nicht der entscheidende Faktor bei solchen Fronten.
Gegen 16 Uhr näherte sich die Schauer- und Gewitterfront Westmecklenburg. Das Organisationsgrad konnte als sehr gut beschrieben werden, starke Echos und kleine Bogensegmente inklusive. Somit rückte der Wind als maßgeblicher Warnfaktor in den Vordergrund. Bereits in Niedersachsen und S-H meldeten Wetterstationen 9er bis 10er-Böen von 75 bis 100 km/h. Außerdem wies der Linie eine für Mitte Oktober beeindruckende Blitzaktivität auf. Zeitweise wurden zwischen Klützer Winkel und Landesgrenze zu Brandenburg 400 Blitze in nur 30 Minuten registriert.
Mit Vorankommen nach Osten intensivierte sich die Front über Mecklenburg vorübergehend sogar. Immer wieder war auch mäßige bis starke Rotation an den Zellen feststellbar. Die Landeshauptstadt Schwerin traf es gegen 17 Uhr, die dortige DWD-Wetterwarte meldete eine schwere Sturmböe der Stärke 10 mit 97 km/h. Eine knappe Stunde ging es in Rostock mit Starkregen, kleinem Hagel und einzelnen stürmischen Böen los. Nach 10 Minuten setzte wieder Wetterberuhigung ein. Viele Computermodelle simulierten ein Abschwächen bzw. Zerfallen der Front in Vorpommern, doch selbst im Raum Stralsund und Greifswald erhellten am Abend noch Blitze den Himmel.
Spitzenböen MV 18.10.2019
97 km/h Schwerin
90 km/h Arkona/Rügen
90 km/h Goldberg
82 km/h A20-Mölenbarg (Nordwestmecklenburg)
81 km/h Lübstorf
78 km/h Rostock-Hinrichsdorf
75 km/h A14-AS Schwerin-Nord
70 km/h Wismar
Regional verursachten die hohen Windgeschwindigkeiten Schäden. Unklar ist, ob sich auch der ein oder andere kurzlebige Tornado entwickeln konnte. Medienberichten zufolge soll dies in Groß Salitz bei Grevesmühlen und in Sellin auf der Insel Rügen der Fall gewesen sein. Doch beide Fälle sind noch nicht abschließend geprüft, klare Belege für einen Tornado sind bislang nicht erbracht. Leider ist selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mittlerweile bei kleinräumigen Sturmschäden nach Durchzug von Schauern und Gewittern immer sofort das „T-Wort“ zu lesen oder aber das W-Wort (=Windhose). Letzteres klingt verharmlosend, meint aber dasselbe Phänomen.
Bei beiden Verdachtsfällen ist auch ein Downburst (Fallböen) als Ursache für die Vegetations- und Gebäudeschäden denkbar. Um Klarheit zu schaffen, sind genaue Augenzeugenberichte, Foto- und Videodokumentation und eine Untersuchung des Schadensmusters sowie Auswertung meteorologischer Daten erforderlich. Solche Nachforschungen stellt die TAD- Tornadoarbeitsgruppe Deutschland- bzw. die Tornadoliste Deutschland unter Leitung von Thomas Sävert an.
Ein wenig Theorie- Was ist der Unterschied zwischen einem Tornado und einem Downburst?

Bei einem Tornado handelt es sich um eine rotierende Luftsäule mit Bodenkontakt. Es existieren diverse Begrifflichkeiten (Großtrombe, Windhose, Twister), wobei alle das gleiche Phänomen beschreiben. Auf die Entstehungsfaktoren soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Typischerweise sind Tornadoschäden auf eine schmale Schneise von wenigen hundert Metern begrenzt. Durch die Rotation und daher schnell wechselnder Windrichtung beim Durchzug eines Tornados können Gegenstände umherfliegen und leicht zu Geschossen werden. Außerdem sind weite Verfrachtungen möglich. Unterschiedliche Fallrichtungen von Bäumen sprechen ebenfalls für einen Tornado.
Der Downburst dagegen ist durch eine lineare Ausbreitung gekennzeichnet. Es handelt sich um einen Abwindstrom, zu beschreiben als starken horizontalen Kaltluftausfluss. Diese Fallwinde schießen „raketenartig“ Richtung Boden und können Orkanstärke bis zu 200 km/h erreichen.
Eine erste Zusammenstellung meinerseits:
Verdachtsfall 1- Groß Salitz bei Grevesmühlen
Hier sollen laut NDR 20 Tannen und mehrere alte Linden schwer beschädigt worden sein. Außerdem sei das Dach einer Feldscheune teilweise heruntergerissen worden. Interessant wäre, ob das Fallmuster der Bäume konvergent verläuft, also ein Durcheinander herrscht und die Bäume/Äste in verschiedene Richtungen fielen. Außerdem ist fraglich, ob Sturmschäden auf einem größeren Gebiet auftraten oder innerhalb einer Schneise. Die Winddaten der umliegenden Wetterstationen enthalten Böen von 80 bis knapp 100 km/h- das kann ausreichen um Bäume umzulegen, wenn es ungünstig läuft (abrupt einsetzende Böen, zudem seltene Sturmrichtung aus S/SW). Bildmaterial aus der Gegend zeigt jedoch auch verdächtige rotierende Strukturen am Himmel, sodass eine Tornadobildung keineswegs ausgeschlossen ist.
Verdachtsfall 2- Sellin auf Rügen
Ein rotierender Luftwirbel, sprich ein Tornado, ist anhand der Beschreibungen von Augenzeugen durchaus möglich: In der Ostsee-Zeitung berichten diese u.a. von der Verfrachtung eines Fahrradschuppens sowie durch die Luft fliegende Gegenstände. Außerdem stürzten mehrere Bäume um, die Seebrücke wurde beschädigt und Dachplatten seien 60 bis 70 m weit geflogen. Des Weiteren besteht anscheinend die Vermutung, dass der Tornado über dem Neuensiener See entstanden ist und dann ostwärts über das Seebad zog. Seltsam jedoch: Es existieren keine Bilder, welche einen charakteristischen Tornado-Rüssel zeigen. Andererseits: Nicht immer bildet dieser sich lehrbuchhaft aus und ist weithin sichtbar. Bei einem Multi-Vortex-Tornado bzw. dichtem Niederschlagsvorhang „verwischt“ die typische Struktur.