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Rückblick/Analyse: Unwetterartige Regenfälle in Ost-Vorpommern- lokal über 100 l/m² auf Rügen und Hiddensee

Eineinhalb Wochen nach dem extremen Starkregen in der Uckermark stand am 09. und 10. Juli 2021 erneut dieser Warnparameter im Fokus und wieder handelte es sich zumindest regional um ein Ausnahmeereignis.

Das kleine Tief „ARNO“ zog auf der vergleichsweise seltenen Vb-Zugbahn (diese war zumindest ansatzweise gegeben) von Süd nach Nord über Österreich, Tschechien und Westpolen bis zur Ostsee. Damit geriet zum Freitag (09.07.2021) auch Mecklenburg-Vorpommern in den Einflussbereich von ARNO, welcher von SO her sehr feuchte und labile Luftmassen einsteuerte. Dadurch kamen im Osten von Vorpommern zum Abend sogenannte Warmlufteinschubgewitter auf, welche auf dem Weg von Uecker-Randow nordwärts bis nach Rügen zusehends verclusterten und sich zu einem langsam ziehenden Starkregengebiet mit teils tropischer Niederschlagsintensität und eingelagerten Gewitterzellen entwickelten. Durch eine Gegenstromlage (in der Höhe SO-Wind, tiefere Luftschichten/bodennah: NO bis NW-Wind) wurde großflächige Hebung hervorgerufen und auch weiter Richtung Mecklenburg kamen an der Westflanke von ARNO kräftige Regenfälle auf. Ganz im Westen, etwa vom Klützer Winkel bis zur Elbe war von den Wetterkapriolen kaum etwas zu spüren und es kamen dort nur 3 bis 10 Liter zusammen.

Radarfilm 09.07. 21.30 Uhr bis 10.07. 01:30 Uhr

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regenradar/vorpommern-ruegen/20210709-2330z.html
Von SO her drehte sich das Starkregenfeld Richtung Ostvorpommern ein. Orangene bis rote Echos zeigen die intensivsten Platzregengüsse an. Zuerst war Usedom betroffen, danach die Insel Rügen.

Erst zum Morgen beruhigte sich das Wetter mit Abzug der Zyklone gen Schweden.

Die größten Regenmengen innerhalb einer Stunde fielen am Abend des 09. Juli eng begrenzt knapp westlich von Torgelow mit 70-80 l/m² (19-20 Uhr) und dann im Norden der Insel Usedom zwischen 22 und 23 Uhr. Die DWD-Station in Karlshagen registrierte 48,1 l/m², eine private Netatmo-Messstation in Peenemünde meldete sogar 73 l/m².

Radarsumme 1-stündig, 09.07.2021 22-23 Uhr

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regensummen/vorpommern-greifswald/kalibrierte-summe-1std/20210709-2050z.html
Hotspot mit >50 l/m² innerhalb von 60 Minuten im Norden von Usedom.

Ab etwa 23 Uhr verlagerte sich dann der Schwerpunkt nach Rügen. Auch dort kamen innerhalb einer Stunde punktuell 40-50 l/m² vom Himmel und bis zum Morgen des 10.07. 80 bis lokal über 110 l/m².

Wie die eben genannten Beispiele zeigen, war mancherorts bereits im 1h-Zeitintervall die höchste Starkregen-Warnstufe violett des DWD (>40 l/m², extremes Unwetter) überschritten.

Auch im 6h-Zeitraum wurde die entsprechende Grenze (>60 l/m²) gerissen. So z.B.an der Wetterstation Kap Arkona mit 64,5 l/m² zwischen 02 und 08 Uhr, gut 50 l/m² davon sind in einer Starkregeneinlage zwischen 05:00 und 06:30 Uhr gefallen.

Radarsumme 6-stündig in der zweiten Nachthälfte, 09. zu 10.07.2021, LK Vorpommern-Rügen

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regensummen/vorpommern-ruegen/kalibrierte-summe-6std/20210710-0450z.html

Im Folgenden eine Auflistung der höchsten 12h-Mengen an MV-Stationen für die Nacht vom 09.-10.07.2021 zwischen 20 und 08 Uhr (DWD, DTN, KMW; in l/m²):

110,0 Königsstuhl
96,1 Hiddensee-Dünenheide
95,8 Juliusruh
80,3 Kap Arkona
78,3 Hiddensee-Dornbusch
78,2 Insel Vilm
74,0 Trassenheide
72,3 Hiddensee-Vitte
69,5 Putbus/Rügen

Zur Komplettierung nun die Auflistung der höchsten 24h-Mengen an MV-Stationen vom 09.07.2021, zwischen 09.07. 08 Uhr und 10.07. 08 Uhr (DWD, DTN, KMW; in l/m²):

114,4 Königsstuhl
103,2 Binz auf Rügen
101,3 Hiddensee-Dünenheide
99,8 Juliusruh
96,7 Bergen auf Rügen
84,6 Samtens- Frankenthal
82,2 Kap Arkona
81,8 Steinhagen-Negast
80,2 Patzig/Rügen
79,7 Grieben/Hiddensee

Radarsumme/ Messwerte 24-stündig, 09.07.2021 08 Uhr – 10.07.2021 08 Uhr, offizieller Messzeitraum für die Tagessumme

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regensummen/mecklenburg-vorpommern/kalibrierte-summe-24std/20210710-0550z.html
Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/messwerte/mecklenburg-vorpommern/niederschlagssumme/20210710-0600z.html
DWD/Kachelmannwetter-Stationen

Am Königsstuhl auf Rügen summierte sich innerhalb von 12 Stunden mit rund 110 l/m² eine Niederschlagsmenge, welche etwa 2 normalen Monatssummen für Juli entspricht! Teilweise war das Monatssoll in einer Stunde erfüllt! Kein Wunder, dass diese sehr außergewöhnliche Extremregen-Nacht auf Rügen für einige Schäden sorgte. Straßen und Geh- bzw. Wanderwege wurden unterspült und teils weggeschwemmt. Vereinzelt gab es Erd- sowie Hangrutsche und Abbrüche entlang der Steilküsten. Viele Keller liefen voll Wasser.

Presse-/TV-Berichte zum Unwetter:

In den heftigen Schütten waren bis nach Mitternacht auch noch Blitz und Donner dabei. Häufig handelte es sich dabei um starke Erdblitze. Nahe des Fährhafens Sassnitz-Mukran schlugen gleich 2 wilde Hausrüttler (Blitzstärke ≥100 kA) ein.

Historische Einbettung

Eine Einschätzung zur Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses und möglicher Rekorde ist nicht ohne ein paar Vorbemerkungen möglich. Der Blick in die Geschichte der Niederschlagsaufzeichnung offenbart rasch Grenzen: 24-stündige Mengen werden an allen Stationen aufgezeichnet und das schon Anbeginn- für dieses Zeitintervall sind also recht problemlos Extremwertanalysen für bestimmte Orte bzw. Regionen möglich. Aber es sei angemerkt, dass immer nur der Zeitraum „morgens bis morgens“ (05:50-05:50 UTC) ausgelitert bzw. heutzutage automatisch als 24h-Niederschlag berechnet wird.

1h-Mengen werden darüber hinaus erst seit Umstellung auf elektronische Messsysteme (etwa 1990er-Jahre) regelmäßig und zuverlässig erfasst. Ähnlich verhält es sich mit den 3, 6 und 12-stündigen Messintervallen. Die Niederschlagspötte wurden zwar früher teilweise auch zu mehreren Zeiten am Tag manuell entleert, die Werte dazu fehlen jedoch in den digitalisierten Datensätzen überwiegend. Daher lassen sich nur die 24h-Summen sinnvoll im historischen Kontext auswerten.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass die Niederschlagsmenge, anders als der Parameter Temperatur, durch eine sehr hohe lokale Verschiedenartigkeit gekennzeichnet ist. Ganz besonders konvektives Geschehen (Schauer/ Gewitter statt flächiger Dauerregen) kann so geartet sein, dass zwischen „kein Tropfen“ und „Land unter“ nur einige Kilometer liegen. Da aber längst nicht in jedem Ort eine amtliche Station mit Niederschlagsmesser steht, fallen lokale Starkregenereignisse durchs Raster und gehen in Folge dessen auch nicht in die Statistik ein. Das Messnetz ist schlicht weg nicht engmaschig genug, um alles zu erfassen. Daher ist aber auch Vorsicht geboten, wenn es um Aussagen wie: „Noch nie so viel Regen in 24 Stunden in Region XL“ geht. Für einen konkreten Standort mit langjähriger Wetterstation ist sowas möglich, für das ganze Bundesland nur eingeschränkt.


Dennoch nun ein Versuch einer Extremwertanalyse für die Insel Rügen:

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Wiederkehrzeit für Starkregen ≥50 l/m² pro Std. und Tagessummen ≥100 l/m², welche lokal aufgetreten sind, für die Wetterstationen in der Region Rügen/Usedom bei grob 100 Jahren liegt.

Die Auswertung einzelner Messreihen ergibt teils neue Rekorde für die höchste Tagessumme, z.B. in Bergen auf Rügen, wo schon seit 1897 der Niederschlag aufgezeichnet wird.

=> 96.7 l/m² 09.07.2021
85.0 l/m² 02.08.1959
77.3 l/m² 18.07.1987
74.8 l/m² 13.07.1995
74.1 l/m² 21.06.2007

Am Kap Arkona, Wetterstation seit 1947, an der Nordspitze der Insel wurde mit 82,2 l/m² eine neue Höchstmarke knapp verpasst.

83.0 l/m² 15.09.1955
=> 82.2 l/m² 09.07.2021
73.5 l/m² 02.08.1959
65.6 l/m² 08.08.2010
61.2 l/m² 02.08.1960

Abschließend noch eine Auflistung der höchsten 24h-Tagesmengen, welche je auf der Insel Rügen registriert werden konnten. In die Auswertung flossen alle DWD-Messstellen sowie bekannte Werte aus dem DTN- und dem Kachelmannwetter-/Vereinigte Hagel-Netz ein. Beachtet werden muss, dass erst seit 1951 eine einigermaßen sinnvolle Analyse möglich ist, seitdem kann durchweg auf mehr als 5 Stationen auf Rügen zurückgegriffen werden. Aus der Zeit davor sind viele Daten noch nicht digitalisiert.

Ergänzung: 103,2 mm Binz auf Rügen (09.07.2021)

Auch diese Darstellung verdeutlicht nochmals, dass Tagessummen >100 l/m² (= mm) Ausnahmereignisse darstellen, wobei davon ausgegangen werden kann, dass lokale Starkregenfälle in dieser Größenordnung bereits vorgekommen sind, jedoch nicht durch das Niederschlagsmessnetz erfasst wurden. Flächig gesehen jedoch, kann von einem Rekordereignis am 09./10.07.2021 gesprochen werden, denn überall auf Rügen sind 24h-Mengen von mindestens 60 l/m², bis punktuell über 110 l/m² aufgetreten. Das hat es so in der Form zumindest seit dem 2. Weltkrieg auf der größten deutschen Ostseeinsel nicht gegeben. Für das ganze Bundesland M-V betrachtet, liegen die Höchstmarken jedoch in anderen Sphären. Der Landesrekord beträgt 191,5 l/m², gemessen am 26.08.1946 in Wismar. An diesem Tag gab es das schwerste Regen-Unwetter in der Geschichte von Mecklenburg.


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