Am 18. Juni 2012 (Montag) zog die Kaltfront des Tiefs HEIDI aus BeNeLux kommend in Richtung Ostsee. Vorderseitig strömte subtropische Warmluft nordwärts und brachte sehr warme bis heiße Temperaturen. Spitzenreiter in MV war Ueckermünde mit bis zu 32°C.
Der Durchgang der Kaltfront erfolgte tageszeitlich günstig am Nachmittag/Abend, sodass vorher die Sonne einheizen konnte und einiges an Gewitterenergie (CAPE) aufgebaut wurde. Die Luftmasse war nicht nur energiereich, sondern auch feuchtschwül (Taupunkte >16°C). Außerdem war die Windscherung erhöht, d.h. der Wind nahm mit der Höhe zu und änderte seine Richtung. Die Hauptgewitteraktivität spielte sich an der präfrontalen Konvergenz ab, welche der dahinter folgenden Kaltfront voraus lief. Die Konvergenz zeichnete sich durch einen Windsprung von S/SO- auf SW/W-Winde aus. An ihr entwickelten sich über MV ab circa 15 Uhr beginnend auf Höhe Schwerin und dann ostwärts ausbreitend gut organisierte Gewitter mit zeitweisem Superzellen-Charakter (große rotierende Gewitterzellen). Die heftigste Einzelzelle mit hoher Blitzaktivität wanderte von Rostock aus über Ribnitz und Barth zur Insel Rügen. In Ost-Vorpommern formierte sie sich mit anderen Gewittern zu einer geschlossenen Kette zusammen. Die Zellen wiesen durch den starken Höhenwind von mehr als 100km/h eine beachtliche Zuggeschwindigkeit auf. Sie wurden begleitet von Starkregen, orkanartigen Böen und Hagel. Innerhalb kürzester Zeit wurden Teile der Innenstadt von Rostock und Barth unter Wasser gesetzt. Keller liefen voll, Bäume kippten um, Dächer wurden abgedeckt, sogar eine ganze Litfaßsäule wurde aus der Verankerung gerissen. Hühnereigroße Hagelkörner beschädigten zudem auf der Insel Rügen mindestens 1 000 Fahrzeuge (NDR 2012).
Dabei kam es insgesamt für unsere Region zu außergewöhnlichen Hagelschäden in einem Streifen vom Landkreis Rostock über den Raum Ribnitz und Barth bis in den Norden von Rügen. Dazu folgende Zusammenfassung der Hagelgilde VvaG-Versicherung:
„Hauptschadentag 2012 war dann der 18. Juni mit 82 Schadenmeldungen. Betroffen war der Küstenstreifen Mecklenburg-Vorpommern von Satow bis hin zum Cap Arkona auf Rügen, wobei hier die Schwerpunkte bei Barth und bei Schaprode/Rügen lagen. Außerdem traten an diesem Tag, mit extrem heißem Südwind und für das gesamte Geschäftsgebiet vorhergesagten Unwettern, weitere Schäden in den Regionen Güstrow, Parchim, Wolgast und Schwerin auf. Es wurden durchweg alle Kulturen geschädigt, aber in Gerste und Mais waren die Schäden am stärksten, teilweise auch Totalschäden bzw. GPS-Verwertung der kläglichen Reste.“
Karten zum Gewittertag 18.06.2012
1) Höchsttemperaturen

2) Radar und Blitze
Die stärkste Zelle erreichte etwa 16 Uhr Rostock und wanderte weiter zur Insel Rügen, gut erkennbar an der hohen Blitzaktivität (gelbe Punkte). Dieses Unwetter war für die großen Hagelkörnern und entsprechende Schäden verantwortlich. Weitere Gewitter entstanden dann südlich der Küstenregion und formierten sich gegen 19 Uhr zu einer Gewitterlinie im Bereich Pommersche Bucht- Usedom-Uckermark:




3) Blitze auf Rügen zwischen 17:40 und 18:10 Uhr
Ein wahres Blitzfeuerwerk über Rügen mit mehr als 1.500 Blitzen in nur 30 Minuten!

4) Spitzenböen der Wetterstationen
Die höchste Windspitze im DWD-Netz registrierte Barth/ Flugplatz mit 103 km/h. Das entspricht einer orkanartigen Böe der Stärke 11. Schwere Sturmböen (Stärke 10) meldeten Greifswald, Ueckermünde und Kap Arkona. Da das Windmessnetz nicht besonders engmaschig ist, könnten lokal noch höhere Windgeschwindigkeiten aufgetreten sein.

Auf Youtube sind viele Amateur-Videos hochgeladen. Sie zeigen zum Beispiel die Wucht des Hagelsturms in Barth und Ummanz auf Rügen:
Schnappschuss im Hagelgewitter im Rostocker Stadthafen:

Die Hansestadt Rostock kam trotz einiger Schäden noch vergleichsweise glimpflich davon, denn die über das Stadtgebiet ziehende Gewitterzelle erreichte ihren höchsten Organisationsgrad mit dem größten Hagel und schwersten Sturm erst weiter ostwärts über Nordvorpommern. Außerdem war das Tornadopotenzial erhöht und es war Glück, dass sich nach bisherigen Kenntnisstand am 18. Juni 2012 keiner ausbildete.
Dazu Schilderungen von Dipl.-Ing. Matthias Witte, welcher an besagtem Tag auf Stormchasing-Tour knapp südlich von Rostock ging und das Anfangsstudium des Unwetters miterlebte.
„Am Montag den 18.06.2012 frischte der Wind gegen die Mittagszeit aus südöstlicher Richtung stark auf und die Temperaturen dürften gegen 1200Z bereits an der 30°C Marke gekratzt haben. Zwischen 1430Z und 1500Z entschloss ich mich, nachdem die Entwicklung einer starken Gewitterlinie über Deutschland anhand von Radarbildern ersichtlich war, von Rostock Südstadt aus in Richtung Süden zu fahren. […] Da sich die Entwicklung schneller vollzog als ursprünglich von mir angenommen bezog ich bereits 8 km südlich von Rostock eine Position um die aufziehende Zelle auf ihrer Südostflanke abzupassen. Die Koordinaten des Standortes P1 sind (54.02068 Breite, 12.11362 Länge).“ Das folgende Bild zeigt im rechten Bereich den starken Niederschlag und in der Bildmitte den regenfreien Bereich mit aufsteigender Luft und einer Wolkenabsenkung – eine Wallcloud bildet sich aus:

„In der folgenden Abbildungsserie [hier nur 2 ausgewählte Bilder] ist die zeitliche Entwicklung der Geschehnisse deutlich zu erkennen. In diesem Stadium war eine deutliche Rotation unterhalb der Wallcloud zu erkennen. Eine Funnelcloud senkte sich dabei zu Boden. Die Dynamik der Vorgänge war erstaunlich, da die Bilderserie in knapp 2 Minuten aufgenommen wurde. Die Zuggeschwindigkeit der Zelle würde ich auf etwa 80 km/h schätzten. Alles in allem stellte sich die Situation sehr bedrohlich dar. Zugrichtung der Zelle war Nordost in Richtung Rostock Südstadt.“


Quelle: https://tornadoliste.de/120618ziesendorf.htm
Die Original-Berichte aus der Ostsee-Zeitung vom 19. und 20.06.2012:




