Natur & Wetterphänomene Rückblicke und Analysen

Lokales Unwetter über Sassnitz und dem Nationalpark Jasmund am 27. Juli 2021

Foto: Wetterinfos Vorpommern-Rügen => https://twitter.com/Wetter_VR_HST
Rückseite der abziehenden Gewitterzelle über Sassnitz.

Am frühen Nachmittag des 27.07.2021 brach gegen 14 Uhr über der Hafenstadt Sassnitz auf Rügen von Westen her ziemlich plötzlich ein heftiges Gewitter mit Platzregen und Hagel mit Korngrößen von 2-3 cm herein. Die Zelle war klein und eng begrenzt, jedoch ein echter „Giftzwerg“. Die Radarreflektivität ging sogar in das violette Farbspektrum über und war somit fast am Anschlag. Mit Einsetzen des Gewitters sank die Lufttemperatur von 26 auf etwa 18°C ab.

Etwa gegen 14:15 Uhr erreichte die Zelle ihren Entwicklungshöhepunkt mit extremer Niederschlagsintensität und Hagel über Sassnitz:

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regenradar/vorpommern-ruegen/20210727-1215z.html

Radaranimation – Entstehung/Entwicklung und Verlagerung der Unwetterzelle

Es kam plötzlich: Knapp nördlich von Bergen ist die Zelle erst entstanden und zog dann von Westen über die Halbinsel Jasmund hinweg. Zudem sieht man anschließend bei Sassnitz auch noch kleine Neuentwicklungen nach Durchgang der Hauptzelle.

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regenradar/vorpommern-ruegen/20210727-1315z.html#play-0-24-2

Niederschlagsmenge

Innerhalb einer Stunde fielen laut Radaranalyse in Sassnitz und knapp nördlich an der Kreideküste im Nationalpark 40 bis 50 l/m² (zw. 13:50 und 14:50 Uhr), ein Großteil davon in einem deutlich kürzeren Zeitintervall. Die Wetterstation am Königsstuhl verzeichnete enorme 24,4 l/m² in 10 Minuten zwischen 14:10 und 14:20 Uhr und 36,4 l/m² in 60 Minuten, wurde allerdings nicht voll vom intensivsten Teil des Unwetter getroffen. Direkt in Sassnitz existiert zudem eine konventionelle Niederschlagsstation des DWD, diese Daten sind jedoch erst ab Anfang August verfügbar.

Ergänzung (25.08.2021): Diese Sassnitzer Station meldete eine Tagesmenge von „nur“ 17,1 l/m². Sie liegt jedoch am südwestlichen Ende von Sassnitz und damit nicht im Zentrum des Unwetters.

Bei privaten Messungen im südlichen Teil des Nationalparks Jasmund seien in weniger als einer Stunde mehr als 60 l/m² zusammengekommen, sagte der Dezernent in der Nationalparkverwaltung, Dr. Ingolf Stodian. Ob die Messtechnik dem offiziellen WHO-Standard entspricht und ordnungsgemäß aufgestellt war, ist unbekannt. Unglaubwürdig ist diese Summe grundsätzlich aber nicht und sie würde etwa der durchschnittlichen Gesamtmenge für den Monat Juli entsprechen. Ein extremes Unwetterereignis (entspricht höchster Warnstufe 4) war es ohnehin, der Grenzwert dafür liegt beim Deutschen Wetterdienst bei 40 l/m² innerhalb einer Stunde.

1 h-Niederschlagsmenge am 27.07.2021, 13:50-14:50 Uhr

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regensummen/vorpommern-ruegen/kalibrierte-summe-1std/20210727-1250z.html
Die aus dem Radar abgeleiteten kalibrierten Niederschlagsmengen weisen 40-45 l/m² über Sassnitz aus, punktuell knapp nördlich über 50 l/m². Die wahren Summen können gemessen durchaus etwas davon abweichen.

Der Vergleich mit Messdaten aus der Umgebung zeigt, wie lokal begrenzt das Unwetter war: Im benachbarten Sagard, nur etwa 6 km von Sassnitz entfernt, registrierte der Niederschlagsmesser lediglich 0,9 l/m³. Dort war nichts zu spüren von Wassermassen und Hagel. Am Kap Arkona an der Nordspitze von Rügen fiel gar kein messbarer Niederschlag am 27. Juli.

Die großen Wassermassen in kurzer Zeit sorgten in Sassnitz für Überflutungen, vollgelaufene Keller und kleine Sturzbäche. Die Freiwillige Feuerwehr Sassnitz war im gesamten Stadtgebiet unterwegs, um an mehreren Orten Wasser abzupumpen. Auch Sturmböen waren mit von der Partie, es ist von mindestens einem umgestürzten Baum im Tierpark die Rede.

Eindrücke aus den sozialen Netzwerken:

Sassnitz, Busbahnhof

Hagelschlag

Neben massivem Starkregen kamen auch Hagelkörner vom Himmel, welche schätzungsweise einen Durchmesser von 1 bis 3 cm erreichten. Augenzeugen berichten gar von einzelnen Brocken bis 4 cm.

Das Hageltool von Kachelmannwetter zeigt eng begrenzt durchaus Größen von 2 bis 3 cm an, rund herum ein etwas ausgedehnteres Areal mit kleinem Hagel um 1 cm (gelb). Sogar zerbeulte Autos und beschädigte Dächer waren die Folge des Hagelschlags, was durchaus für Korngrößen von mindestens 3 cm spricht.

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/hagel/vorpommern-ruegen/hagel-1km-1std/20210727-1230z.html

Blitze

Die Gewitterzelle zeichnete sich außerdem durch eine hohe Blitzaktivität aus. Zeitweise wurden bis zu 380 Blitze in 30 Minuten registriert. Auffallend war diesbezüglich aber, dass die Blitzstärke vergleichsweise gering ausfiel. Der intensivste Einschlag über dem Sassnitzer Stadtgebiet war gegen 14:10 Uhr ein starker Knaller mit 10 kA (Erdblitz) im Bereich der Sporthalle. Insgesamt schlugen rund 10 Blitze innerhalb von Sassnitz, beziehungsweise im angrenzenden Hafenbereich ein.

Die Blitze über Sassnitz und angrenzend zwischen 14:05 und 14:10 Uhr am 27.07.2021.
Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/blitze/vorpommern-ruegen/20210727-1210z.html

Wetterlage / Warnmanagement

Abschließend der Blick auf das meteorologische Setup und die Bedingungen am Tag des lokalen Unwetters:

Am 27. Juli lagerten im äußersten Nordosten Deutschlands, also speziell auch in Vorpommern, noch Reste der sehr feuchtlabilen Warmluft der vorangegangenen Tage. Der Radiosondenaufstieg an der Wetterwarte Greifswald zur Mittagszeit ermittelte mit knapp 1000 J/kg CAPE und PPW-Werten von circa 33 mm eine noch energiereiche und durch hohe Werte an niederschlagbarem Wasser gekennzeichnete Luftmasse. Die Scherung war eher gering, langlebige Gewitterzellen mit hohem Organisationsgrad waren demnach nicht zu erwarten. Über der Insel Rügen unterstützte eine lokale Windkonvergenz (NW vs. SW-Winde) die Entstehung mehrerer kräftiger Schauer- und Gewitterzellen, die spätere Sassnitzer zündete am heftigsten. Von Westen her näherte sie sich in insgesamt schwachwindigem Umfeld der Küste von Jasmund und profitierte wohl noch etwas von der orografisch bedingten Hebung in der hügeligen Gegend.

Unwetterwarnungen oder eine Vorabinfo waren von Seiten des DWD im Vorfeld nicht geschaltet. Dies verwundert jedoch nicht wirklich, denn eine großflächige Gewitterlage war nicht zu erwarten und trat letztendlich auch nicht ein. Auch war das Risiko einzelner sehr starker Gewitterzellen vergleichsweise niedrig, bis auf das hier ausgewertete Ereignis ist es an diesem Tag zu keinen unwetterartigen Gewittern über M-V gekommen. Dennoch erwähnte der DWD explizit die Möglichkeit, dass es zum Mittag/frühen Nachmittag über Vorpommern noch vereinzelt Entwicklungen mit unwetterartigem Starkregen geben kann, bevor die labilste und energiereichste Luftmasse nach Osten abgedrängt wird. Dass dann sozusagen das gesamte Potenzial ausgeschöpft wird und sich die atmosphärischen Zutaten in dieser kurzen Zeitspanne so perfekt überlappten und dann der Himmel auch noch genau über einem größeren Ort bzw. speziell über Sassnitz seine Schleusen öffnet, konnte vorher niemand kommen sehen.

2 Kommentare

  1. Was kein Hagelschaden bekannt. Bei uns in der Familie 2 Autos beschädigt vom Hagel, sowie Dach durchschlagen

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