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Rekord-Orkan und Jahrhunderthochwasser am 13. November – Das Datum der meteorologischen Extreme

Am mittlerweile aufgelösten Seewetteramt im Ostseebad Warnemünde galt der 13.11. im meteorologischen Sinne fast schon als Phänomen.

Es ist der Tag, an dem im Jahre 1872 das schwerste Sturmhochwasser seit mindestens 180 Jahren auftrat, welches die Ostsee in Warnemünde bis auf 2,43 m über Normalmittelwasserstand ansteigen ließ und damit fast den ganzen Ort überflutete. Derartige Höchststände wurden seither nie wieder erreicht. Kurioserweise auf den Tag genau exakt hundert Jahre später, am 13. November 1972, registrierte die Wetterwarte den heftigsten Orkan seit Kriegsende.

Der 13. November galt deshalb scherzhaft, so ist es überliefert, als der Tag an dem kein Meteorologe in Warnemünde Dienst haben wollte.

Dieser Artikel blickt auf beide Extremereignisse, angefangen mit Orkan QUIMBURGA vor genau 50 Jahren:

Orkan QUIMBURGA am 13.11.1972

Original Berliner Wetterkarte vom 13.11.1972. Die Linien stellen die Gebiete gleichen Luftdrucks dar (Isobaren). Je enger die Drängung, desto stärker bläst der Wind. Um 13 Uhr wurde der Tiefkern etwa auf Höhe Darß-Zingst analysiert, über Mecklenburg schwenkt das Orkanfeld hinweg.

Am 13. November 1972 ereignete sich vor allem im Norden und Osten Deutschlands einer der schlimmsten Stürme des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa. Das Orkantief QUIMBURGA zog damals mit seinem Kern etwa über die Elbmündung und Hamburg hinweg nach Rügen und das Hauptsturmfeld reichte von Niedersachsen und Mecklenburg über Sachsen-Anhalt bis nach Brandenburg und Berlin. Wegen der immensen Schäden und vielen Toten in Niedersachsen ging das Ereignis auch als „Niedersachsen-Orkan“ in die Wettergeschichte ein.

Zur Entstehung/Entwicklung von QUIMBURGA der Originaltext der Berliner Wetterkarte vom 13.11.72:


„ÜBERSICHT: Im Bereich des Tiefdruckgebiets „Q“, das gestern morgen im Seegebiet westlich von Irland lag, herrschte ein ausgeprägtes „Vierer-Druckfeld“ mit einem kalten Hochdruckgebiet im Norden und einer warmen Antizyklone im Süden. Von Grönland her wurde arktische Polarluft nach Süden und von den Azoren Subtropikluft nach Norden geführt. Daher verschärfte sich die Frontalzone über Westeuropa erheblich (massive Temperaturgegensätze!), und das Tiefdruckgebiet „Q“ vertiefte sich bei seinem Weg nach Osten über den Britischen Inseln und der Nordsee zu einem Orkanwirbel.
Heute Vormittag wies dieser Wirbel ein mehr als 1.000 Kilometer ausgedehntes Sturmfeld auf, wobei in einem Bereich von mehr als 300 km voller Orkan, in weiten Bereichen in Böen Orkanstärke erreicht wurde. Besonders die Ausdehnung dieses Starkwindfeldes, das sich mittags von Südwestdeutschland bis zur mittleren Ostsee erstreckte, wird in Mitteleuropa nur selten beobachtet.“

Quelle: https://wetterkanal.kachelmannwetter.com/vor-45-jahren-orkan-quimburga-tobt-in-deutschland/

Die Karte mit den Luftdruckwerten am Vormittag des 13. November 1972 zeigt das Tief QUIMBURGA über Norddeutschland. Mehrere Stationen meldeten zu dieser Zeit einen Luftdruck von 959 Hektopascal. Zwischen dem Orkantief und hohem Luftdruck über Südwesteuropa herrschten extreme Luftdruckgegensätze. Zwischen Hamburg und Freiburg gab es um 10 Uhr eine Differenz von 43 Hektopascal!

Quelle: https://wetterkanal.kachelmannwetter.com/vor-45-jahren-orkan-quimburga-tobt-in-deutschland/

Die stärksten Windböen erreichten am 13. November 1972 auch im Binnenland verbreitet Orkanstärke. Spitzenreiter war damals der Brocken mit einer Spitzenböe von 245 km/h. Dabei lag der Harz noch knapp südlich des Hauptsturmfelds. In tiefen Lagen traten verbreitet 12er-Böen auf, die gebietsweise 150 km/h überstiegen. In Celle-Wietzenbruch lief das Gerät zweimal bis zum Anschlag bei 167 km/h und verharrte dort jeweils für 3 bis 4 Sekunden. Für höhere Windgeschwindigkeiten war die Messtechnik nicht ausgelegt.

Aus dem brandenburgischen Doberlug-Kirchhain wurde eine Böe 175 km/h gemeldet (taucht wie Celle-Wietzenbruch nicht in der Karte auf, da das Messgerät danach nicht mehr funktionstüchtig war). Auch in Berlin gab es verbreitet Böen bis Orkanstärke, am Flughafen Tegel wurden 144 km/h registriert. Zusätzlich zum flächendeckenden Sturm sind 5 Tornadoverdachtsfälle mit großen Schäden bekannt, von denen aber bis heute noch kein Fall bestätigt werden konnte.


Der „Niedersachsen-Orkan“ schlug vor 47 Jahren auch an der mecklenburgischen Ostseeküste zu.

In Warnemünde wurde am 13.11.1972 mit 41 m/s (knapp 150 km/h) die bis heute stärkste Orkanböe registriert (seit mindestens 1946). Der Kern von Quimburga zog knapp nördlich der Rostocker Küste nach Nordosten, sodass auf der Rückseite das Orkanwindfeld aus Nordwest von der Ostsee hereinbrach. Am Vormittag wehte vorderseitig noch starker Südostwind, dennoch wurde später nur eine mittlere Sturmflut ausgelöst, auch weil das Tief schnell nach Osten abzog und der Nordwestorkan rasch wieder nachließ.

Der bekannte Rostocker Meteorologe Reiner Tiesel, zu dieser Zeit im synoptischen Schichtdienst an der Seewetterdienststelle Warnemünde tätig, berichtete, dass es die Menschen regelrecht von der Strandpromenade geweht hat.

Windmittel in km/h und Windrichtung am 13.11.1972- Wetterwarte Warnemünde

Das Diagramm zeigt die stündlichen mittleren Windgeschwindigkeiten der Wetterwarte Warnemünde vom 13.11.1972. Am Morgen wehte auf der Vorderseite des heranziehenden Orkanwirbels mäßiger bis starker Südostwind. Gegen 11 Uhr lässt der Wind nochmal nach, da der Kern von Quimburga nun über die Region zieht. Kurze Zeit später bricht auf der Rückseite des Tiefzentrums abrupt der Nordwestorkan los. Am Nachmittag lässt der Westwind langsam nach.


Die 5 höchsten Tageswindspitzen in Warnemünde (seit 1967)
41.0 m/s (148 km/h) 13.11.1972 => Orkan Quimburga
39.0 m/s (140 km/h) 15.01.1968 => namenslos
37.8 m/s (136 km/h) 26.11.1992 => Orkan Ismene
37.7 m/s (136 km/h) 05.12.2013 => Orkan Xaver
37.0 m/s (133 km/h) 17.10.1967   => Skane-Orkan

Auf das Sturmflutereignis vom November 1872 wird nun in einem 2. Teil näher eingegangen.


Rekord-Sturmhochwasser am 13.11.1872

Das Sturmhochwasser vom 13. November 1872 gilt als die schwerste durch Messungen belegte Hochwasserkatastrophe in der westlichen Ostsee. Die Pegelstände von damals sind bis heute unübertroffen. Die Schäden und Opferzahlen durch das Jahrhundertereignis sind unvorstellbar. Mindestens 271 Menschen verloren an der deutschen und dänischen Ostseeküste ihr Leben, mehr als 15 000 wurden obdachlos, zehntausende Nutztiere ertranken, Schiffe kenterten und es gab großflächige Landverluste (KIEKSEE, 1872; PETERSEN und ROHDE, 1977). Vielerorts zeugen noch heute in den Küstenorten Hochwassermarken von dem ungewöhnlichen Ausmaß des Ereignisses.

Meteorologisch lässt sich das Zustandekommen wie folgt erklären: Bereits Ende Oktober / Anfang November 1972 wurde die Ausgangsbedingungen geschaffen. Vom 1. bis 10.11. bestimmte über einen ungewöhnlich langen Zeitraum tiefer Luftdruck
über dem Nordmeer und Skandinavien das Wetter mit vorwiegend westlichen bis südwestlichen, zeitweise stürmischen Winden. Der Sturm drückte große Wassermassen aus der südlichen Ostsee bis in den Finnischen und Bottnischen Meerbusen. Dabei kam es in der Flensburger Förde, in der Kieler und der Lübecker Bucht zu Wasserständen, die bis zu 90 cm unter NN lagen. Dieses Defizit wurde durch den Einstrom von Nordseewasser aufgefüllt. Somit ist in dieser Zeit immens viel Wasser aus dem Kattegat in die Ostsee bis östlich von Arkona transportiert worden, wenn auch unterbrochen durch Rückstromphasen.

Zum 10./11.11. begann dann die entscheidende Wetterumstellung. Über Südskandinavien etablierte sich hoher Luftdruck, während sich über Mitteleuropa tiefer Luftdruck einstellte. Diese Konstellation verschärfte sich und kehrte damit die zuvor tagelang herrschende Anströmungsrichtung um. Bekanntermaßen bewegen sich die aus einem Hochdruckgebiet abfließenden Luftmengen im Uhrzeigersinn um den Kern. Damit änderte sich die Windrichtung auf der Ostsee. Die bisher durch das Tiefdruckgebiet im Bereich Großbritannien/Nordpolarmeer ausgelösten Westwinde schliefen ein und wurden nach kurzer Ruhepause durch Winde aus nordöstlicher Richtung ersetzt. Erschwerend kam hinzu, dass sich von Süden ein sogenanntes Vb-Tief näherte. Es drang nach Norden vor und setzte sich mit seinem Kern im Bereich der Lausitz bis zur Odermündung fest. Dieses Tiefdruckgebiet verursachte eine Luftströmung, die synchron zur Luftbewegung des skandinavischen Hochdruckgebietes verlief und verstärkte die NO-Strömung massiv.

Mit dem ohnehin hohen Füllungsgrad der Ostsee durch das permanente Nachfließen aus der Nordsee, resultierend aus der Wetterlage vom 01.-10.11., wurde es nun mit aufkommendem Nordoststurm bedrohlich. Das Wasser schwappte aus der östlichen Ostsee zurück, wo es vorher aufgestaut wurde (Badewanneneffekt) und drückte mit den Orkanwinden aus NO gegen die deutschen und dänische Küste. Rekonstruktionen der Wind- und Wasserstandsverhältnisse ergaben Windgeschwindigkeiten der Stärke 11 bis 12 (30-35 m/s) vor Rügen, Hiddensee und Darß-Zingst. Bei Windrichtung Nordost sind solche Windstärken sehr selten.

Wetterlage und Windverhältnisse

Grafiken entnommen aus: Rosenhagen, G., & Bork, I. (2009). Rekonstruktion der Sturmwetterlage vom 13. November 1872. Die Küste, 75 MUSTOK, (75), 51-70.

Der in Warnemünde bekannte Heimatforscher Friedrich Barnewitz schrieb 1919 in seiner Ortschronik: „Warnemünde lag auf einer Insel. (…) Das Wasser drang in die Häuser, die Bewohner flüchteten in die neu erbaute Kirche, wo die Flüchtlinge schließlich auf die Bänke steigen mussten.“ Als das Wasser weiter stieg, holte man schließlich mit Booten die Leute aus der Kirche. Im Rostocker Stadthafen wurden 70 Schiffe auf Land gesetzt und schließlich zerschlagen, so heißt es in Zeitzeugen-Berichten. Vom bewohnten Teil der Insel Hiddensee war am nächsten Morgen nicht viel mehr zu sehen als das hochliegende Kloster.

Aus Prerow ist von Augenzeuge Heinrich Bussert überliefert: „Am Morg. d. 13. Nov. gegen ½ 6 Uhr brach das Wasser mit unerwarteter Wucht
durch die Dünen u. ergoß sich über unsere ganze Ortschaft u. Umgegend. Alles mit sich fortreißend, was ihm im Weg stand. Es war das Wasser, der Sturm u. die Gischt so dicht und undurchdringlich, daß man aus dem Fenster nicht die nächsten Gegenstände sehen konnte, nur Wellenschaum und Gischt.

Fortsetzung folgt…

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