Im Zuge des Klimawandels wird über eine Zunahme in der Intensität und Häufigkeit von Sturmereignissen in Deutschland diskutiert. Auch in der subjektiven Wahrnehmung vernimmt man hier und da während und nach durchgezogenen Sturm- oder Orkantiefs die Einschätzung, dass jene gehäuft auftreten, ungewöhnlich stark ausfallen würden und in Zusammenhang mit der Erderwärmung stehen. Doch was sprechen die nackten Zahlen für eine Sprache? Dazu habe ich mir vorrangig die Windgeschwindigkeiten der Wetterstationen Rostock-Warnemünde und Kap Arkona auf Rügen aus den vergangenen Jahrzehnten genauer angesehen und ausgewertet. Darüber hinaus werden weitere Statistiken und wissenschaftliche Studien herangezogen. Gibt es schwere Stürme wirklich häufiger? Ist ein Trend bei der mittleren Windgeschwindigkeit zu erkennen?

Zunächst einmal gilt darauf hinzuweisen, dass die Messreihen für den Parameter Wind deutlich kürzer sind, als beispielsweise für Temperatur, Luftdruck oder Niederschlag, welche auch schon ab Mitte oder Ende des 19. Jahrhunderts mit recht hoher Qualität erfasst wurden. Oftmals wird dagegen erst seit einigen Jahrzehnten der Wind an den Stationen registriert. Standardmäßig wird in 10 m über Grund gemessen. Die Aufzeichnung reagiert dabei sensibel auf Änderungen der Umgebungsbedingungen, z.B. neu gebaute Gebäude, Bewuchs oder Verlegung des Messfeldes (vgl. Klimareport MV). Daher bleiben in fast allen Windzeitreihen Inhomogenitäten nicht aus. Zudem gab es den Wechsel von teils manueller über elektromechanische bis hin zur heutigen vollautomatischen elektrischen Windmessung (etwa seit 1990). In Warnemünde und am Kap Arkona ist jedoch als Pluspunkt anzusehen, dass dort seit Beginn der Aufzeichnungen der Standort der Windmesser maximal geringfügige Veränderungen erfahren hat und vor allem im Falle der Rügener Nordspitze sich auch die bebaute Umgebung kaum gewandelt hat.
Die folgende Auswertung bezieht sich im ersten Schritt auf den Zeitraum Oktober bis März, denn im Winterhalbjahr ist in Mitteleuropa Saison für Sturm- und Orkantiefs, meist vom Atlantik her. In den übrigen Monaten, insbesondere von Mai bis August, kommen Windgeschwindigkeiten über 75 km/h (Bft 9) zum größten Teil nicht durch Sturm- und Orkantiefs zustande, sondern durch Gewitter. Das ist meteorologisch betrachtet allerdings ganz anders zu bewerten und sollte nicht gemischt ausgewertet werden.


Sowohl für Warnemünde (seit 1967) als auch für Arkona (seit 1979) sehen wir keine Zunahme der saisonalen Anzahl an Tagen mit Sturmböen (>= Bft 9, >= 75 km/h). Im Gegenteil: Es gab insbesondere in den letzten 10 bis 15 Jahren eher wenig Herbst- und Winterstürme! Im Rostocker Ostseebad liegen nur zwei Winterhalbjahre seit der Saison 2008/09 über dem langjährigen Mittelwert der gesamten betrachteten Periode, am Kap Arkona seit 2007/08 sogar gar keins! Auffallend sind zudem viele sturmreiche Saisons Ende der 1980er und in den 1990er-Jahren. Dies passt zum Stand der Forschung und bisher angestellten Auswertungen (EWK 2022). Für Arkona stammt der Rekord von 66 Tagen mit Sturmböen aus 1993/94, in Warnemünde liegt die Höchstmarke bei 35 aus 1989/90.
Schaut es für das Binnenland anders aus? Nein, auch anhand der Daten der Wetterstation in der Landeshauptstadt Schwerin treffen dieselben Beschreibungen zu.

Orkantage mit Windgeschwindigkeiten von Bft 12, also mindestens 118 km/h, sind auch in exponierten Küstenlagen der Ostsee selten. Sie zählen zu den gefährlichsten Unwettern in unserer Region. Selbst wenn dieser Grenzwert angelegt wird, zeigt sich auch hierbei für Arkona, dass die Hochzeit in den 1990er Jahren lag und sich insbesondere nach der Jahrtausendwende die Saisons ohne Orkane häuften. 2015/16 bis 2020/21 und somit 6 Saisons in Folge blieben ohne Orkanböen.

Liste der Tage mit Orkanböen am Kap Arkona und in Warnemünde

Der Vollständigkeit halber ergänzend zu den obigen Auswertungen in der kalten Jahreszeit auch noch ein Blick auf die Sturmtage im Sommerhalbjahr an den Standorten Warnemünde und Kap Arkona. Hier ist die Tendenz zur Abnahme von Starkwind nicht so deutlich ausgeprägt, aber dennoch ebenfalls vorhanden. Sommerhalbjahre mit deutlich überdurchschnittlich vielen Tagen mit Sturmböen (Warnemünde >=10, Arkona >= 20) liegen allesamt mehr als 15 Jahre in der Vergangenheit.


Folgende Grafiken des Deutschen Wetterdienstes sollen als ergänzendes und bestätigendes Material gezeigt werden. Sie bilden die Häufigkeit der Tage mit Böen Bft 11 oder 12 an verschiedenen Messstationen in Norddeutschland in 10 Jahres-Zeiträumen ab. Rechts unten ist die Dekade 2011-2020 zu sehen, eindeutig weist sie vor allem an den Küsten deutlich niedrigere Werte auf. Am Kap Arkona sind nur 27 Tage mit orkanartigen Böen oder Orkanböen registriert worden, in den Dekaden davor waren es 69, 76 bzw. 55.




Eine leicht abweichende Option, um Sturm zu operationalisieren, ist die Betrachtung über den höchsten 10 Min.-Mittelwind (>= BFT 8, >= 62 km/h). Damit werden dann nicht die absoluten Windspitzen herangezogen. Die folgenden Grafiken der monatlichen und jährlichen Sturmtage am Kap Arkona nach dieser Definition zeigen ein ähnliches Bild. Das erste Diagramm auf Basis der Monate zeigt bei üblicher jahreszeitlicher Schwankung insgesamt eine Abnahme beziehungsweise eben eine Periode schwacher Sturmaktivität. Seit dem Januar 2007 wies lediglich noch der Februar 2020 mehr als 10 Sturmtage auf. Einen langfristigen Trend sollte man daraus aber noch nicht ableiten. Das Jahrzehnt von 2011-2020 war allerdings ein ziemlich sturmarmes. Der Zeitraum vom 28. Mai 2022 bis 04. Januar 2023 war der längste ohne Sturm am Kap Arkona seit Beginn der Daten im Jahr 1951. Erstmals gab es 7 Monate in Folge ohne einen 10-Minuten-Mittelwind im Bereich von mindestens Windstärke 8.


Auch wenn als Datenbasis die mittlere Windgeschwindigkeit gewählt wird, hier dargestellt für November bis März und gebildet aus dem arithmetischen Mittel der täglichen Durchschnitts-Windgeschwindigkeit, zeigt sich die auffallend windarme Zeit des letzten Jahrzehnts.


Aufgrund der oben erläuterten Einschränkungen der direkten Windmessung, wird bei Untersuchungen gelegentlich auch eine andere Möglichkeit herangezogen, um langfristige Entwicklungen der Windgeschwindigkeit aufzuzeigen. Es handelt sich um den sogenannten geostrophischen Wind. Er wird auf der Grundlage von Luftdruckdifferenzen berechnet. Da der Luftdruck bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts recht flächig und in guter Qualität aufgezeichnet wird, auch verglichen mit heutigen Messverfahren, bietet sich diese Methode an. Das Diagramm zeigt dekadische Schwankungen über den Zeitverlauf, also Perioden von 10 oder auch 20 Jahren mit höherer und dann wieder niedrigerer Windgeschwindigkeit. Doch auch hier fällt auf: Von 2000 bis 2017 (neuere Daten sind hier noch nicht verarbeitet) war es insgesamt so windschwach wie in keiner vergleichbar langen Periode vorher. Zieht man die Jahre 1949 bis 1958 beispielsweise heran, so ist im Vergleich zu bilanzieren, dass ausnahmslos alle diese Jahre windiger waren als jene im Zeitraum 1996 bis 2017. Die Unterschiede sind durchaus gravierend. Insgesamt gibt es für die komplette Zeitreihe einen schwachen abfallenden Trend (vgl. DWD Klimareport Mecklenburg-Vorpommern 2018).

Als Fazit ist festzuhalten, dass Langzeittrends mit den eigens ausgewerteten Windmessreihen nicht herauszustellen sind. Dafür bräuchte es deutlich längere Messzeiträume von 100 Jahren oder optimalerweise darüber hinaus. Schwere Stürme und Orkane, welche besonders relevant und eben auch schadensträchtig sind, sind außergewöhnliche und seltene Wetterereignisse und demnach statistisch sinnvoll auch nur mit langen Zeitreihen zu bewerten. Diese zeigen eine sogenannte multidekadische Variabilität, das bedeutet, Jahrzehnte oder auch Spannen von 20-30 Jahren mit höherer und niedriger mittlerer Windgeschwindigkeit/ Anzahl von Sturmlagen wechseln sich ab. Es gibt generell für Europa bisher keine klaren langfristigen Trends in der Sturmhäufigkeit. Für die Sturmintensität, zum Beispiel gemessen an den Maximalböen, ist es besonders schwierig Aussagen zu treffen, da die Messwerte nicht weit in die Vergangenheit reichen, vergleichsweise ungenau und sehr standortgebunden sind.
Dennoch konnte zweifelsfrei gezeigt werden, dass die letzten 15 Jahre durch insgesamt schwache Sturmsaisons in der kalten Jahreszeit und allgemein leicht zurechtgehender durchschnittlicher Windgeschwindigkeit gekennzeichnet waren und dies der Anfang einer sich fortsetzenden Entwicklung sein könnte. Mögliche Erklärungen dafür, sind bereits seit Längerem Teil einer wissenschaftlichen Debatte. Einerseits verhält es sich so, dass sich die Pole stärker als die Region um den Äquator erwärmen. Dies führt zu geringer werdenden Temperaturunterschieden und einer Schwächung des Jetstreams und damit der westlichen Strömung in unseren Breiten- was für weniger und schwächere Stürme spricht. Andererseits wird argumentiert, dass durch die Erderwärmung mehr Wasserdampf in der Atmosphäre gespeichert wird, was einen gegenteiligen Effekt bewirken könnte. Wenn der Wasserdampf zu Wolkentröpfchen kondensiert, wird Wärme freigesetzt, was zu besseren Wachstumsbedingungen für starke Stürme führt. Dabei spielt auch die steigende Wassertemperatur eine begünstigende Rolle. Klimaforscherin Frauke Feser vom Helmholtz-Zentrum Hereon geht deshalb aktuell „für Deutschland von häufigeren starken Stürmen bei einer insgesamt eher abnehmenden Zahl aus“ (Feser, in NationalGeographic, 18. FEB. 2022).
Die herausgestellte andauernde Periode mit geringer Sturmaktivität sollte natürlich noch nicht dazu verleiten, von einem sich festigenden und sich fortsetzenden Trend zu sprechen. Es ist auch denkbar, dass sie nun durch ein stürmisches Jahrzehnt abgelöst wird. Was aber auch eindeutig ist aufgrund der Datenlage: Die letzten 10-20 Jahre verliefen auf außergewöhnlich niedrigem Niveau, wenn man sich auch die lange Zeitreihe des geostrophischen Windes (1880-2017) anschaut.
Festgestellt werden konnten durch andere Untersuchungen außerdem Signale, dass die Entstehungsgebiete und Zugbahnen starker Tiefdruckgebiete auf dem Atlantik, welche schwere Sturmfelder mit sich bringen, sich im Zuge des zurückweichenden arktischen Meereises nordwärts verlagern (vgl. DWD & EWK 2020). Eine nördlichere Westwindzone (Tiefs wandern grob von West/Südwest nach Ost/Nordost über den Atlantik) wäre ebenfalls eine Erklärung für abnehmende Windgeschwindigkeiten an den deutschen Küsten. Insgesamt dominiert in der Wissenschaft allerdings auch für unsere heimische Region bisher noch die Ansicht, dass keine nennenswerten Veränderungen in den Windverhältnissen für die Zukunft zu erwarten sind (vgl. DWD Klimareport Mecklenburg-Vorpommern 2018, DWD Klimareport Schleswig-Holstein 2017). Sowohl eine Zu- als auch Abnahme von Intensität und Häufigkeit von Sturmereignissen erscheint möglich (vgl. Meinke et al. 2018). Insbesondere für die globale Windgeschwindigkeit gibt es auch divergierende Forschungsergebnisse. Seit 2010 ist die durchschnittliche Windgeschwindigkeit weltweit laut einer Studie der Princeton University um etwa sieben Prozent auf fast 11,9 Kilometer pro Stunde gewachsen (Zeng et al. 2019). Viele Klimaprojektionen sehen für die Zukunft eine Zunahme der Intensität von Sturmereignissen in fast allen geographischen Regionen (vgl. Feser et al. 2015). Mit den für diesen Artikel ausgewerteten Daten gibt es dazu anhand der letzten Jahrzehnte und für unsere Ostseeregion zumindest keine Hinweise.
Eine ganz neu erschienene Forschungsarbeit mit einer europaweiten Analyse von Windmessungen zeigt für Deutschland schwächere Windgeschwindigkeiten in den letzten zwei Jahrzehnten verglichen mit den vorherigen beiden Jahrzehnten vor 2000 (vgl. Rojas‐Labanda et al. 2022). Diese Ergebnisse stützen die Datenauswertungen für die MV-Standorte Warnemünde und Kap Arkona.
Eine kleine Auswahl schwerer Orkantiefs in MV, teils mit Böen >130 km/h:
- Skane-Orkan Oktober 1967
- Orkan Januar 1968
- Orkan Quimburga November 1972
- Capella-Orkan Januar 1976
- Orkan Januar 1986
- Orkan Vivian Februar 1990
- Orkan Ismene November 1992
- Orkan Verena Januar 1993
- Orkan Anatol Dezember 1999
- Orkan Quimburga II November 2004
- Orkan Kyrill Januar 2007
- Orkan Xaver Dezember 2013
- Orkan Zeynep Februar 2022
Literatur
Deutscher Wetterdienst (2017): Klimareport Schleswig-Holstein; Deutscher Wetterdienst, Offenbach am Main, Deutschland, 44 Seiten.
Deutscher Wetterdienst (2018): Klimareport Mecklenburg-Vorpommern; Deutscher Wetterdienst, Offenbach am Main, Deutschland, 52 Seiten.
Deutscher Wetterdienst & Extremwetterkongress Hamburg (Hrsg.) (2020): Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen – Stand der Wissenschaft zu extremen Wetterphänomenen im Klimawandel in Deutschland. September 2020 <https://www.dwd.de/DE/presse/ewk_hamburg/downloads/ewk_papier.html>
Deutscher Wetterdienst & Extremwetterkongress (2022): Was wir 2022 über das Extremwetter in
Deutschland wissen. Offenbach am Main, Deutschland <https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/aktuelle_meldungen/220928/Faktenpapier-Extremwetterkongress_download.pdf?__blob=publicationFile&v=4#:~:text=In%20Folge%20der%20rasch%20fortschreitenden,und%20dar%C3%BCber%20ein%20neues%20Ph%C3%A4nomen.>
Feser, F.; Barcikowska, M.; Krueger, O.; Schenk, F.; Weisse, R.; Xia, L. (2015): Storminess over the North Atlantic and northwestern Europe – A review. Q J R Meteorol Soc 141:350–382. https://doi.org/10.1002/qj.2364
Feser, F. (2022): Unwetter in Deutschland: „Es gibt nicht mehr Stürme als früher“. Webseite: nationalgeographic.de. Interview publiziert am 18. FEB. 2022. <https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2022/02/stuerme-deutschland-orkan-interview-unwetter>
Meinke, I.; Rechid, D.; Tinz, B.; Maneke, M.; Lefebvre, C.; Isokeit, E. (2018): Klima der Region – Zustand, bisherige Entwicklung und mögliche Änderungen bis 2100. In: Hans von Storch, Insa Meinke, Martin Claußen (Hrsg.): Hamburger Klimabericht – Wissen über Klima, Klimawandel und Auswirkungen in Hamburg und Norddeutschland. 2018, ISBN 978-3-662-55379-4 <https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-55379-4_2>
Rojas‐Labanda, C., González‐Rouco, F., García‐Bustamante, E., Navarro, J., Lucio‐Eceiza, E. E., Van der Schrier, G., & Kaspar, F. (2022): Surface wind over Europe: Data and variability. International Journal of Climatology. https://doi.org/10.1002/joc.7739
Zeng, Z., Ziegler, A.D., Searchinger, T. et al. (2019): A reversal in global terrestrial stilling and its implications for wind energy production. Nat. Clim. Chang. 9, 979–985. https://doi.org/10.1038/s41558-019-0622-6
Vielen Dank für die interessante Auswertung.
Ich komme auf dem Fichtelberg auf ein Ähnliches Ergebnis. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass frühere Windmesser (Schalenstern und erst recht Staudruckanemometer) für Windspitzen „anfälliger“ waren. Vor allem auf dem Brocken fällt auf, dass seit dem Ultraschallanemometer weniger Wind ist und frühere Windspitzen nicht mehr erreicht werden.
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Das wäre interessant zu untersuchen. Darüber hab ich auch schon nachgedacht und dieser Aspekt könnte natürlich auch eine kleine Rolle spielen. Danke für den Kommentar! 🙂
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