Dieser Bericht blickt auf einen Tornado im südwestlichen Mecklenburg zurück, welcher sich Ende April 2020 ereignet hat. Durch Vor-Ort-Untersuchungen konnte der Fall im Nachhinein bestätigt werden und soll nun Gegenstand dieser Analyse sein:
Der schwache F1-Tornado (F1= zweite Stufe auf der Fujitaskala) bildete sich am Mittwochabend des 29.April kurz vor 19:45 Uhr westlich der Kleinstadt Lübtheen. Das Radar zeigte zum Zeitpunkt der Entstehung eine unauffällige, nicht gewittrige Schauerzelle mit einem intensiven Niederschlagskern. Dieses Echo scherte etwas nach O/SO aus und bekam eine Drehbewegung, während die restlichen schauerartigen Niederschläge im Umfeld eine einheitliche SW=>NO-Zugrichtung aufwiesen.
Abb. 1 Radar HD-Bild vom 29.04.2020 / 19:35 Uhr

Quelle: https://kachelmannwetter.com/de/regenradar/lueneburg/20200429-1735z.html
Zudem lag eine Bodenwindkonvergenz vor. In einem schwachgradientigen Umfeld strömten schwache SO-Winde auf ebenfalls kaum messbare SW-Winde (BFT 1-2). Die vertikale Windscherung zwischen Boden und 1 km Höhe betrug gegen 19 Uhr im LK Ludwigslust-Parchim fast 35 Kn. Je größer die Windscherung zwischen verschiedenen Luftschichten (Änderung des Windes in Richtung und Stärke), desto erhöhter ist die Tornadogefahr. Die Luftmasse war außerdem sehr feucht. Keine schlechten Ausgangsbedingungen für „tornadische Bemühungen“.
Am Stadtrand von Lübtheen erreichte der sich bildende Tornadotrichter den Erdboden und wirbelte Staub von den landwirtschaftlich genutzten und sehr trockenen Flächen auf. Dadurch wurde der Tornado weithin sichtbar, sodass viele Menschen auf das Phänomen aufmerksam wurden und die Feuerwehr informierten. Es bestand die Vermutung eines Brandes. Die Freiwillige Feuerwehr Lübtheen konnte jedoch nur noch Sturmschäden feststellen. Abgerissene Dachziegel, dicke Äste auf Straßen und Wegen sowie ein schwer beschädigter Carport zählten dazu. Doch war wirklich ein Tornado dafür verantwortlich oder wüteten hier Fallböen (Downburst) bzw. ein Böenfrontwirbel (Gustnado)?
Abb. 2: Die Zugbahn des Tornados (von W nach O) quer durch Lübtheen
Mitglieder des „WTINFO Tornado Research Project“ schauten sich vor Ort um, dokumentierten die Schäden und befragten Augenzeugen.
Es ließen sich eindeutige Tornadoindizien finden. Dazu eine Passage aus dem Abschlussbericht: „Während die Inflow-Winde in Tornadozugrichtung rechtsseitig gesehen ein Trampolin in 115 Meter Entfernung vom Tornado auf 355° Nord 50 Meter zum Tornado hin verfrachteten, wurde zur gleichen Zeit ein Fliederbaum (Ölbaum/Syringa) linksseitig des Tornados in Zugrichtung gesehen zusammen mit Gartenmöbeln auf rückseitige (entgegengesetzt der Zugrichtung) 260° geworfen, welches kartographisch als Rotationsbeweis gilt.“ Das in verschiedene Richtungen verlaufende Schadensmuster, aufgrund Inflow/Outflow-Winde, gehört meteorologisch zu einem Tornado und nicht zu anderen Sturmphänomenen.
Augenzeugen sprachen außerdem von einer „rotierenden Trichterwolke“. Laubbäume bewegten sich „in verschiedene Himmelsrichtungen“.
Auch die Beschädigung am angesprochenen Carport konnte sehr genau rekonstruiert werden. Das Carport-Dach sei „27,4 Meter weit linksseitig der Tornadozugrichtung verfrachtet worden“. Der Wirbel saugte Dämmstoffe und Glaswolle ein. Hierbei konnte sogar eine Verfrachtung von 350 Metern kartiert werden. In der Lübtheener Gartenstraße hinterließ der Tornado ebenfalls Spuren: Etwa 50 Dachziegel wurden herausgehoben. Am Raiffeisenmarkt zerlegte es Blumenstände und Holzbalken gingen auf Wanderschaft.
Weitere klare Tornadoindizien ließen sich am Kirchplatz und nach Überquerung der Geschwister-Scholl-Straße in Richtung Krone Brüggen feststellen. Es wurde ein typisches konvergentes Fallmuster in einem Fichtenbestand nachgewiesen. Es bot sich also ein Bild mit unterschiedlichen chaotischen Fallrichtungen der Bäume mit Schwerpunkt zur Mitte des betroffenen Bereiches hin.
Abb. 3: Beispiel für konvergentes Tornado-Fallmuster

Quelle: https://www.stormchaser-holstein.de/files/images/60.jpg
Im kleinen Ortsteil Lobetal verliert sich schließlich die Spur des Tornados. Er hinterließ in einer engbegrenzten Ost-Nordost verlaufenden Schneise von 2,57 km Länge Bruch- und Verfrachtungschäden mit konvergentem Muster. Die sogenannte primäre Schneisenbreite betrug 5 Meter, während der sekundäre Wirkungsbereich teilweise eine Breite von 185 Metern aufwies. Es hat Verfrachtungen von maximal 350 Metern gegeben.
Die Windgeschwindigkeiten können in den Bereich von 130 bis 150 km/h eingeordnet werden. Die Kartierungsarbeiten des „Tornado Research Projektes“ sind abgeschlossen und der Tornado ist nun schadensanalytisch nachgewiesen, ein Böenfrontwirbel bzw. Fallböen konnten ausgeschlossen werden.
Damit hat Mecklenburg-Vorpommern nun den ersten bestätigten Tornado im Jahr 2020. Hinzu kommt ein Verdachtsfall vom 12.März aus Grimmen (=> https://tornadoliste.de/read:7649 ) und ein unplausibler Fall (wahrscheinlich Fallböen) aus Rostock-Reutershagen vom 04.Januar.
Im vergangenen Jahr 2019 zählt die Statistik 4 Tornadoereignisse (davon 3 als Wasserhosen über der Ostsee) und 9 Verdachtsfälle für MV.
Abb. 4: Fujitaskala zur Einstufung und Schadensklassifikation von Tornados

Quellenangaben:
Tornadoliste Deutschland => https://tornadoliste.de/read:7665
Gemeinnütziges Tornado Research Project => https://wtinfo.eu/
Facebook Tornado Research Project => https://www.facebook.com/WTINFO/
Facebook FFW Lübtheen => https://www.facebook.com/Feuerwehrluebtheen/
Kachelmannwetter.com =>https://kachelmannwetter.com/de/regenradar